Geschichte als visuelles Konzept
Peter von Poitiers' Compendium historiae
Das von DFG und FWF geförderte Projekt "Geschichte als visuelles Konzept" untersucht das graphische Werk des Peter von Poitiers aus dem zwölften Jahrhundert, das Compendium historiae in genealogia Christi. Die grafischen und bildlichen Elemente des Compendium historiae, das im Mittelalter und der frühen Neuzeit allgegenwärtig war, verliehen ihm semantische und ästhetische Kraft im Klassenzimmer und darüber hinaus.
Petrus von Poitiers und sein Compendium Historiae
Angesichts der Komplexität biblischer Geschichte eine kurzgefasste Übersicht zu entwickeln, formulierte der Pariser Gelehrte Petrus von Poitiers im 12. Jahrhundert als Ziel seines Compendium historiae in genealogia Christi. Als graphischer Visualisierung der Heilsgeschichte in Form einer linearen Synopse mit kurzen textuellen Erläuterungen kommt diesem Werk bahnbrechende Bedeutung zu. Die Generationenfolge von Adam bis Christus bildet die chronologische Leitachse, mit der die Linien biblischer Herrschergeschlechter korreliert werden, so dass synchrone und diachrone Beziehungen von Personen und Ereignissen simultan ablesbar sind. Das Compendium historiae visualisiert darüber hinaus suggestiv die Grundannahme einer von Gott geordneten und dem menschlichen Verstand in ihrer Ordnung fassbaren, planmäßig und teleologisch verlaufenden Geschichte. Das Compendium historiae verbreitete sich schnell im gesamten lateinischen Westen. Zwischen dem späten 12. und dem frühen 16. Jahrhundert sind mehrere hundert Abschriften überliefert. Ungeachtet seiner Relevanz und formativen Wirkung wurde das Werk bislang weder ediert noch in Hinsicht auf die Spezifik der multilinearen Graphik als Metastruktur untersucht.
Projektziele
Das internationale Forschungsprojekt vereint die Disziplinen der Kunstgeschichte, lateinischen Philologie, mittelalterlichen Geschichte, Editionswissenschaft und Digitalen Geisteswissenschaft.
Die Ziele des Vorhabens sind
- ein umfassender Überblick über Überlieferung des Compendium historiae,
- eine Analyse der graphisch-synoptischen Metastruktur sowie der in diese eingebetteten Texte, Diagramme und Bilder (mit einer Erfassung der Varianten),
- eine auf ausgewählten Zeugen basierende wissenschaftlich-kritische Edition, und
- eine Erforschung relevanter Kontexte.
Erstellt werden deshalb im Rahmen des Projekts
- eine kodikologische Datenbank,
- eine navigierbare Visualisierung der graphischen Metastruktur (und ihrer Elemente),
- eine kritische Edition des Texts, und
- Einzel- und Fallstudien zur Tiefenerschließung wichtiger Überlieferungszeugen, soziokultureller Kontexte und anderer Teilaspekte. Die Veröffentlichung erfolgt digital, dauerhaft und frei zugänglich.
Mit der Entwicklung der digitalen Edition wird methodisch Neuland betreten, wenn es um die adäquate Repräsentation diagrammatischer Werke durch einen formalisierten und navigierbaren knowledge graph geht, der die Varianten des Werks als individuelle Realisierungs- und Überlieferungsformen durch innovative Visualisierungstechnologien repräsentiert. Das Projekt wird einerseits eines der visuell innovativsten und einflussreichsten Werke des Mittelalters zugänglich machen und neues Licht auf die Geschichte der Visualisierung von Wissen werfen. Es wird andererseits ein Modell bereitstellen, mit dem Werke komplexer graphischer Struktur künftig ediert und zugänglich gemacht werden können.
Projektteam
Art History and Manuscript Studies
Kunsthistorisches Institut, Eberhard Karls Universität Tübingen und School of Advanced Study, University of London
Prof. Dr. Andrea Worm
Dr. Laura Cleaver (School of Advanced Study, University of London, Mercator Fellow)
Dr. Eleanor Goerss
Maria Streicher
Katharina Bauer
Melina Behnke (studentische Mitarbeiterin)
Editorial Sciences
Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften, Bergische Universität Wuppertal
Prof. Dr. Patrick Sahle
Dr. Elisa Cugliana (bis 10/2023)
Andreas Mertgens
Lennart Rouxel (studentischer Mitarbeiter)
Medieval Latin Philology
Venice Centre for Digital and Public Humanities, Università Ca’ Foscari Venezia
Prof. Dr. Franz Fischer (Mercator Fellow)
Dr. Agnese Macchiarelli (Bergische Universität Wuppertal, Fakultät für Geistes- und
Kulturwissenschaften – Geschichte / Ca‘ Foscari University of Venice, Department of
Humanities – Venice Centre for Digital and Public Humanities)
Information Modeling and Publication
Center for Information Modeling, University of Graz
Dr. Roman Bleier
Sina Krottmaier
Jakob Sonnberger
Teresa Potenza (05/06 2023, Erasmus+ Praktikum)
Mag. Roman Bleier MA PhD
FWF Projektleitung +43 316 380 - 5772
Elisabethstraße 59/III, 8010 Graz
ORCID: 0000-0003-4674-1042
https://homepage.uni-graz.at/de/roman.bleier/